ViViUse

Leitung:  Kurt Schneider
Team:  Lukas Nagel, Jianwei Shi
Jahr:  2021
Förderung:  Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Weitere Informationen https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/289386339

Vision Videos - Ein Medium für Gemeinsames Verständnis

Die Etablierung einer geteilten Projektvision ist ein zentrales Ziel des Requirements Engineering. Eine effektive Koordination und Kommunikation der Bedürfnisse aller beteiligten Stakeholder ist unerlässlich, um einem Entwicklungsteam zu ermöglichen, eine für die Stakeholder akzeptable Lösung zu implementieren. Dieser Prozess der Anforderungskommunikation dient der Entwicklung und Aushandlung eines gemeinsamen Verständnisses über die Ziele, Pläne, Status und Kontext eines Projekts.

Auf Basis eines solchen gemeinsamen Verständnisses kann eine geteilte Projektvision entstehen, die den Umfang des zu entwickelnden Systems beschreibt. Dies erlaubt eine Bewertung der Relevanz von individuellen Anforderungen und ihrer Bedeutung für das zukünftige System. Eine geteilte Projektvision dient somit der Ausrichtung der Aktivitäten und Aktionen aller Beteiligten im Projekt und trägt dadurch maßgeblich zum Projekterfolg bei.

Die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses kann erleichtert werden, wenn ein proaktiver Informationsaustausch zwischen den Stakeholdern und dem Entwicklungsteam erfolgt. Dies geschieht nach den aktuellen Praktiken des Requirements Engineerings über eine rein textuelle Präsentation der Projektvision in einer Spezifikation. Die mit natürlicher Sprache einhergehenden Einschränkungen wie Mehrdeutigkeit und Abstraktion können jedoch zu unentdeckten Missverständnissen führen.

Das Medium Video ist seit langem als eine der reichhaltigsten und effektivsten Dokumentationsoptionen für die Kommunikation zwischen Menschen bekannt. Vision Videos versuchen diese Vorteile für die Kommunikation von Projektvisionen unter Stakeholdern nutzbar zu machen, indem sie Projektvisionen klar in einem simulierten Anwendungsfall präsentieren. Die erstellten Videos können Stakeholdern präsentiert werden und bilden so eine Grundlage für Diskussionen, welche zur Erreichung eines gemeinsamen Verständnisses führen.

Erstellung von Vision Videos

Die Erstellung von Vision Videos wurde von 2017 bis 2020 im Rahmen des Forschungsprojekts “ViViReq” untersucht. Im Laufe des Projekts entwickelte das Fachgebiet Software Engineering der Leibniz Universität Hannover ein Qualitätsmodell für Vision Videos und einen Video Produktions- und Nutzungsprozess. Die Forschungsbemühungen mündeten in einer ausführlichen Richtlinie bestehend aus 52 Empfehlungen für die Erstellung von Vision Videos. Eine Zusammenfassung des Erstellungsprozesses ist in der folgenden Darstellung zu finden:

Insgesamt besteht der entwickelte Erstellungsprozess in erster Linie aus den drei Phasen Preproduction, Shooting und Postproduction. Gerade die einzelnen Schritte der Preproduction können dabei bereits als Ergänzung bestehender Anforderungsanalyseprozesse wahrgenommen werden, da schon während der Planung eines Vision Videos essentielle Elemente der Projektvision definiert werden müssen. Bereits die Erstellung eines Vision Videos unterstützt dadurch die Erreichung eines gemeinsamen Verständnisses zwischen den beteiligten Stakeholdern.

Die folgenden Absätze präsentieren verschiedene Arten von Vision Videos, die eine Anforderungsanalyse unterstützen könnten.

 

Affordable Vision Videos

Ein zentrales Forschungsergebnis des Forschungsprojekts “ViViReq” war die Entstehung des Affordable Video Approaches. Nach dieser Herangehensweise ist eine aufwändige Produktion eines hochqualitativen Videos für die Erstellung eines gemeinsamen Verständnisses zu einer Projektvision nicht erforderlich. Die Videoproduktion kann von Projektmitgliedern durchgeführt werden, ohne auf die Unterstützung von professionellen Videoproduzenten angewiesen zu sein. In nach dem Affordable Video Approach erstellten Videos werden oftmals einzelne Teile der Projektvision, welche zur Zeit der Videoproduktion noch nicht umgesetzt sind, auf simple Art und Weise ersetzt. Zum Beispiel zeigt im folgenden Videoclip ein Postbote mit einer gewöhnlichen Fernseh-Fernbedienung auf den Strichcode eines Pakets, um einen Kofferraum eines Empfängers zu öffnen. Dabei wird das Einlesen des Codes durch ein spezielles, aber noch nicht umgesetztes Gerät simuliert.

Auch trotz einer solchen Substitution ist die Projektvision deutlich erkennbar und kann von Stakeholdern diskutiert werden. Beispielsweise könnte auch mit einem auf einfache Art erstellten Video bereits diskutiert werden, ob der Zugang des Postboten nur für den Kofferraum gelten solle, oder auch die Beifahrertür öffnen könnte, falls der Kofferraum bereits voll ist.

 

Animated Vision Videos

Eine weitere Art der Erstellung von Vision Videos ist die Nutzung einer Animationssoftware. Über eine solche Software können Vision Videos erstellt werden, die mit einfachen Darstellungsmitteln eine Projektvision verdeutlichen. Außerdem ist kein tatsächlicher Dreh mit Darstellern nötig. Somit entstehen keine Eingriffe in die Privatsphären der Beteiligten und es werden keine Requisiten oder Aufnahmegeräte wie Kameras und Mikrofone benötigt. Weiterhin besteht kein Risiko für Probleme mit der Audioqualität bei Außenaufnahmen, welche durch Wind oder Hintergrundgeräusche beeinträchtigt werden könnte.

 

PreVision Videos

Letztlich entwickelte das Fachgebiet Software Engineering auch die Idee des PreVision Videos. Ein solches Vision Video kann auf Basis der während der Preproduction entstehenden Planungsartefakte entstehen. Diese Planungsartefakte beinhalten ein aus simplen Bleistiftzeichnungen bestehendes Storyboard, welches einfache Darstellungen der geplanten Szenen mit einer Szenenbeschreibung und dem passenden Dialog aus einem Drehbuch kombiniert.

Für PreVision Videos können die Bleistiftzeichnungen mit von Stakeholdern aufgenommenen Dialogen kombiniert werden und somit eine Vorversion eines späteren Vision Videos darstellen. PreVision Videos können einen ersten Einblick in die darzustellende Projektvision bieten und eignen sich auch als Vorbereitung eines Affordable Vision Videos, indem sie den Darstellern des Affordable Vision Videos präsentiert werden. So erhalten die Darsteller ein erstes Gefühl für den Kontext der einzelnen Szenen und die im Video enthaltenen Emotionen. Der folgende Videoclip präsentiert ein beispielhaftes PreVision Video.

Das DFG-Forschungsprojekt ViViUse

Ziel

Das Forschungsprojekt ViViUse beschäftigt sich mit dem Einsatz und der Nutzung von zuvor erstellten Vision Videos. Ein übergeordnetes Ziel ist die Untersuchung von verschiedenartigen Nutzungsszenarien um darauf basierend Empfehlungen für ihre Verwendung im Requirements Engineering ableiten zu können. Dabei werden inhaltliche Aspekte wie beispielsweise die Betrachtungsart und der Betrachtungskontext evaluiert. Weiterhin beinhaltet ViViUse die Untersuchung der Gewinnung und Generierung von Feedback zu den Inhalten von Vision Videos.

Nutzung von Emotionen in Vision Videos

In dem thematischen Bereich der Emotionen soll erforscht werden, wie Emotionen in Vision Videos genutzt werden können, um die Anforderungserhebung zu unterstützen.

Ein zu untersuchender Aspekt ist, welchen Einfluss im Vision Video beinhaltete Emotionen auf die Wahrnehmung der Videoinhalte und somit auf die Anforderungserhebung haben.

Fokus dieser Forschungssäule sind subjektive Emotionen, die von Menschen wahrgenommen werden. Eine automatische Erkennung der Emotionen in Videos steht nicht in dem zu untersuchenden Fokus von ViViUse.

 

Feedback

Vision Videos eignen sich in erster Linie für die Erstellung eines gemeinsamen Verständnisses der Vision zwischen allen relevanten Stakeholdern. Unstimmigkeiten zwischen den Projektvisionen verschiedener Stakeholder können gefunden werden, indem die Inhalte von Vision Videos diskutiert werden. Da diese Diskussionen aus Feedback von Stakeholdern bestehen, ist die Generierung von möglichst viel und möglichst reichem Feedback wünschenswert.

Der Forschungsbereich Feedback untersucht verschiedene Möglichkeiten, Feedback von Stakeholdern zu sammeln und Stakeholder dazu zu motivieren, aktiv Rückmeldungen zu den gesehenen Inhalten zu liefern.

Verglichen werden soll beispielsweise, ob die Betrachtung von Vision Videos innerhalb von Personengruppen quantitativ mehr Feedback generiert als die Betrachtung der Videos durch Einzelpersonen. Zum anderen soll ermittelt werden, welche Betrachtungsart, online oder offline, zu mehr und qualitativ hochwertigeren Rückmeldungen führt.

 

Interaktivität in Vision Videos

Eine Möglichkeit Stakeholder zu motivieren, größere und informationsreichere Mengen von Feedback zu geben, besteht in der Anreicherung von Vision Videos mit verschiedenen Interaktionsmöglichkeiten.

Beispielsweise könnte ein Vision Video aus mehreren Pfaden bestehen, die von Stakeholdern erkundet und evaluiert werden können. Mithilfe von Umfragen könnten dann diejenigen Pfade gewählt werden, aus denen die finale Vision bestehen soll. So könnten Requirements Engineers in Echtzeit neue sowie angepasste Anforderungen durch den Interaktionsprozess sammeln. Eine auf diese Art und Weise abgestimmte Vision bietet durch vorangegangene Diskussionen und Abstimmungen zwischen Stakeholdern einen hohen Grad von gemeinsamem Verständnis. 

In dem Forschungsbereich der Interaktivität sollen dafür mögliche Arten der Interaktion im Zusammenhang mit Vision Videos untersucht und evaluiert werden. Wir versuchen, Interaktionsmöglichkeiten, oder Kombinationen mehrerer Techniken, zu identifizieren, die sich besonders gut eignen, Feedback von Stakeholdern zu sammeln.

Aktuelle Veröffentlichungen

  • Busch M., Shi J., Nagel L., Sell J., Schneider K. (2022) Vision Video Making with Novices: A Research Preview. In: Gervasi V., Vogelsang A. (eds) Requirements Engineering: Foundation for Software Quality. REFSQ 2022. Lecture Notes in Computer Science, vol 13216. Springer, Cham. Pages 251-258. doi.org/10.1007/978-3-030-98464-9_19
  • L. Nagel and O. Karras, "Keep Your Stakeholders Engaged: Interactive Vision Videos in Requirements Engineering," 2021 IEEE 29th International Requirements Engineering Conference Workshops (REW), 2021, pp. 51-57, doi.org/10.1109/REW53955.2021.00014
  • L. Nagel, J. Shi and M. Busch, "Viewing Vision Videos Online: Opportunities for Distributed Stakeholders," 2021 IEEE 29th International Requirements Engineering Conference Workshops (REW), 2021, pp. 306-312, doi.org/10.1109/REW53955.2021.00054